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möchte sagen, daß eine Schöpfung, je objektiver sie zu sein scheint, um so subjektiver in Wirklichkeit ist. Shakespeare konnte Rosenkranz und Güldenstern auf heller Straße in London treffen, oder er konnte beobachten, wie die Diener feindlicher Häuser sich auf offenem Platze prügelten; aber Hamlet kam aus seiner Seele und Romeo aus seiner Leidenschaft. Sie waren Elemente seiner Natur, denen er sichtbare Form gab, Gefühlsmomente, die so stark in ihm wogten, daß er es, ob er wollte oder nicht, dulden mußte, daß sie ihre Energien zur Verwirklichung brachten, und zwar nicht auf der niedrigeren Bühne des tatsächlichen Lebens, wo sie gefesselt und beengt und darum unvollkommen gewesen wären, sondern auf der Phantasiebühne der Kunst, wo die Liebe in Wahrheit im Tode ihre reiche Erfüllung finden kann, wo man den Horcher hinter der Tapete erstechen, und in einem eben gemachten Grabe ringen kann; wo man einen schuldigen König sein eigenes Verderben trinken läßt, und in Mondschein und Nebel seines Vaters Geist von Wall zu Wall schreiten sieht. Tun, da es beschränkt ist, würde Shakespeare unbefriedigt und ohne Ausdruck gelassen haben; und gerade wie er, weil er nichts tat, imstande war, alles zu vollbringen, so offenbaren seine Stücke uns völlig ihn selbst, weil er von sich selbst nie spricht, und darum zeigen sie uns seine wahre Natur und Gemütsart weit vollständiger als sogar jene seltsamen und köstlichen Sonette, in denen er für helle Augen den verschwiegenen Schrein seines Herzens auftut. Ja, so ist es: was in der Form das Objektivste ist, ist das Subjektivste im Stoff. Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske, und er sagt die Wahrheit.