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könnten uns zu Geistigen machen, wenn wir uns vom Handeln loslösten, und könnten vollkommen werden, wenn wir der Energie entsagten. Es kam mir oft so vor, als habe Browning etwas der Art gefühlt. Shakespeare stößt Hamlet ins tätige Leben und läßt ihn darangehen, seine Aufgabe durch Anstrengung seiner Kräfte zu erfüllen. Browning hätte uns einen Hamlet geben können, der seine Aufgabe durchs Denken erfüllt hätte. Vorfall und Ereignis waren für ihn unwirklich oder bedeutungslos. Er machte die Seele zum Protagonisten der Lebenstragödie und betrachtete die Handlung als den einzigen undramatischen Bestandteil eines Stückes. Für uns ist in jedem Fall der ΒΙΟΣ ΘΕΩΡΗΤΙΚΟΣ das wahre Ideal. Vom hohen Turm des Gedankens aus können wir die Welt überblicken. Geruhig und in sich gesammelt und als ein Vollständiger beschaut der ästhetisch Kritische das Leben, und kein Pfeil, den der Zufall schleudert, kann zwischen die Fugen seines Harnisch eindringen. Er zum wenigsten ist gesichert. Er hat entdeckt, wie man leben kann.

Ist solch eine Art der Lebensführung unmoralisch? Ja: alle Künste sind unmoralisch, mit Ausnahme der niedrigeren Formen der anschaulichen oder lehrhaften Kunst, die zu gutem oder bösem Handeln auffordern. Denn Handlung irgendwelcher Art gehört in das Gebiet der Ethik. Das Ziel der Kunst ist lediglich, eine Stimmung zu schaffen. Ist solch eine Art der Lebensführung unpraktisch? Ah! Es ist nicht so leicht, unpraktisch zu sein, wie der unwissende Philister sich einbildet. Es wäre gut für unser Land, wenn es so wäre. Es gibt kein Land in der Welt, das so sehr unpraktische Menschen nötig hat wie unsres. Bei uns ist das Denken durch seine unaufhörliche Verschwägerung mit der