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Kunstkritiker der Griechen zitieren darf. Durch die Kunst und allein durch die Kunst können wir unsre Vollendung erreichen; durch die Kunst und allein durch die Kunst können wir uns gegen die schmutzigen Gefahren des wirklichen Lebens wappnen. Dies ergibt sich nicht bloß aus der Tatsache, daß nichts, was man ersinnen kann, wert ist, getan zu werden, und daß man alles ersinnen kann, sondern aus dem feinen Gesetz, daß Gefühlskräfte ebenso wie die Kräfte der Körperwelt in ihrer Ausdehnung und Energie begrenzt sind. Man kann so und soviel fühlen und nicht mehr. Und was kann es ausmachen, mit welchen Genüssen das Leben einen an sich locken will, oder mit welchem Schmerz es einen lähmen und verderben will, wenn man in dem Schauspiel des Lebens derer, die nie gelebt haben, das wahre Geheimnis der Freude gefunden und seine Tränen über den Tod derer verschüttet hat, die, wie Cordelia und die Tochter des Brabantio, nie sterben können?

Ernst: Wart einen Augenblick. Mir scheint, daß in allem, was du gesagt hast, etwas tief Unmoralisches steckt.

Gilbert: Alle Kunst ist unmoralisch.

Ernst: Alle Kunst?

Gilbert: Ja, denn Empfindung um der Empfindung willen ist der Zweck der Kunst, und Empfindung um des Tuns willen ist der Zweck des Lebens und der praktischen Organisation des Lebens, die wir Gesellschaft nennen. Die Gesellschaft, die der Anfang und die Grundlage der Moral ist, ist lediglich für die Sammlung von Menschenenergie da, und um ihre eigene Fortdauer und ihre gesunde Stabilität zu sichern, verlangt sie, und ohne Frage mit Recht, von jedem einzelnen