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Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen

Ein Grunzen hier, dort ein Gequick,
Als gälts, mit Schick und Ungeschick –
Doch immer eifrig – Mensch wie Thieren,
Ein Harmoniestück zu probieren.

 Es pries der Sang, daß man zur Frist
Im Garten nichts bedürf als Mist,** Keinen Gottessegen mehr.
Wo dann in dem Culturbezirke
So Mensch wie Thier einträchtig wirke,
Und also wandelnd auf der Spur
Der „süßen, heiligen Natur“,** Wie sie die Aufgeklärten als ihre Göttin rühmen und ansingen.
Entsteh ein wahrer Kunstverein
Von menschlichem und thier’schem Schwein,
Bestrebt, daß diese alte Erde
Ein Paradies von neuem werde.

 Dem Menschen schien der Gegensatz
Von Mensch und Thier nicht mehr am Platz;
Gleich ehrend beiden Teils Gehirne
Beküßte er die Bruderstirne,** Vom Vieh.
Glückwünschte sich, daß endlich frei
Er von dem Traum der Freiheit sei,** Verstehe: wenn Mensch und Schwein Brüder sind, dann hat der Mensch so wenig einen freien Willen mehr wie das Schwein, sondern thut eben, wozu ihn der Instinkt, die Lust treibt und drängt, und was man sonst von einem Gewissen geredet hat, ist nichts als Einbildung und Mährlein; da gibts dann auch keine Schuld und Sünde mehr.
Und schwur mit feinem Bruderkuß,
Daß er nur thue, was er muß,
Und mit der Fabel vom Gewissen
Das alte Schuldbuch sei zerrissen.

 Zwar nicht so brüderlich und gleich
Die Thiere hieltens in dem Reich;
Sie dachten, besser sei’s, der Ehren
Sich eine Zeit lang noch zu wehren,
Und statt zu stehn auf Du und Du,
Vor Bruder Mensch zu sein in Ruh;
Und da vom neuen Blutsverband
Das Thier kein Titelchen verstand,
Konnt auch der Mensch sich nur so eben
Zu Protokoll als Vetter geben.** Merke: die neue Wissenschaft hats zu Protokoll genommen, daß der Mensch vom Affen her in Vetterschaft mit dem lieben Vieh stehe.

 Auch hieng noch eine Klausel klein –
Um etwas nobler doch zu sein –
An seinen Stammbaum Adams Sprößling,
Des echten Stamms geschäm’ger Schößling,** Wohlverstanden! wer noch ein wenig [5] Ehre im Leib hat schämt sich doch geradezu für einen Affensohn gelten zu wollen; darum muß das jetzt ihre Ehre sein, daß sie eben doch eine ganz besondere Art von Affensöhnen sind, die es durch Kunst und Bildung bis zum Menschen gebracht!
Und proklamierte feierlich,
Wie er durch Kunst und Bildung sich

Empfohlene Zitierweise:
: Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen. Abteilung II der Gesellschaft für innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche, Nürnberg 1874, Seite 04. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Feine_Gleichnisse_von_der_Weisheit_dieser_Zeiten.pdf/4&oldid=- (Version vom 29.10.2017)