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Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen

 Säculum.
Da redest du gleich einem Kind,
Das da gehorsamt kindlich blind;
Ich nehme dann erst Arzenei,
Weiß ich, daß sie auch wirksam sei.
 Christkind.
Ach Aermster, da blickt doch der Thor
Aus deiner Weisheit recht hervor!
Was weißt du denn vom Elixir,
Obs wirke, nimmst du’s nicht zu dir?
 Säculum.
Und möchte so dem allem sein,
Mir geht der blinde Glaub nicht ein;
Und nennst du immerhin mich dumm,
Aus mir spricht doch das Säculum!* Das ist’s! Darum gilt in unserer Zeit oft der bare Unsinn als lauter Weisheit. Lassen wirs laufen das Säculum mit seinem Weisheitssäckel und hören, was uns das Christkind weiter sagt.
 (Geht ab)
 Christkind.
Ja wol, so spricht das Säculum,
Behängt mit Weisheit um und um;
Und doch wie ein verwildert Kind,
Krank, elend, arm und taub und blind.

An deine Thür der Finger pocht,
Dem du zu öffnen nicht vermocht,
Weil für der freien Gnade Schein
Du nichts hat als ein Herz von Stein.

Doch schüttle ich vom Fuß den Staub,
Und laß dein Herz dir selbst zum Raub,
Hab acht, hab acht der langen Nacht,
In welcher dir kein Lichtstrahl lacht!

Mein Kindsein bringt nicht Heil noch Glück,
Sehnst du nicht Kindesart zurück;
Mein Armsein achtest du nicht groß,
Fühlst du nicht selbst dich arm und bloß.

Die Weisheit mein dünkt nie dir Licht,
Kennst du dich selbst als Thoren nicht;
Mein Reichtum höchlich dir mißfällt,
Fühlst du dich reich in dieser Welt.

Empfohlene Zitierweise:
: Zwei Feine Gleichnisse von der Weisheit dieser Zeiten zu Nutz und Frommen des lieben Christenvolkes mit einer Vorrede und Randglossen versehen. Abteilung II der Gesellschaft für innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche, Nürnberg 1874, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Feine_Gleichnisse_von_der_Weisheit_dieser_Zeiten.pdf/10&oldid=- (Version vom 29.10.2017)