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bauen sich Hütten auf Pfähle mitten in den Sumpf, um vor Wasserbestien – im Wald hoch in die Bäume, um vor wilden Thieren – tief in den Schnee, um vor Kälte – an felsige Abhänge hinauf, um vor Ueberschwemmungen – weit in Einöden, um vor Besuchen sicher zu sein, und schaffen und arbeiten, mühen und quälen sich ab, nur um – nach einem gewissen, ihnen zum Athmen gestatteten Zeitraume ihren Platz in der Erde, neben den Vorangegangenen, einzunehmen.

Körperlich unterscheidet sich der Mensch dabei nur wenig von den andern Säugethieren, und wo das je der Fall ist, stets zu seinem Nachtheil. Das Wild ist flüchtiger, Ochse und Pferd, wie tausend andere, sind stärker. Auch schärfere Sinne haben die Thiere, und keines von allen bleibt so lange hülflos wie der Mensch, wird im Alter wieder so hülfsbedürftig wie er. Findelhäuser, Kleinkinderbewahranstalten, Irren- und Besserungshäuser mit den verschiedenen Spitälern sind dafür die besten Beweise, Ammenzulpe und Fallhüte gar nicht gerechnet. – Sein Geist verleiht ihm dagegen in den von ihm erfundenen Maschinen die hundertfache Stärke des Ochsen, die Flüchtigkeit des edlen Pferdes, die Kunstfertigkeit des Fisches, die Kraft und Gefährlichkeit des Tigers, und durch den Geist eben wurde er der Herr der Thiere. Diese Thatsache steht fest, und wir brauchen dabei nicht einmal anzunehmen, wie es einige unserer „Mitbrüder“ thun, daß Gott der Herr die ganze Erde mit dem entsprechenden Planetensystem nur des Menschen wegen geschaffen habe.

So ähnlich der Mensch aber auch, um noch einmal auf das Physische der Sache zurückzukommen, eben in seinem eigentlichen Körper dem Thiere sein mag, so finden sich doch auch hierin wieder auffallende Unterscheidungszeichen. Erstens – der Mensch geht aufrecht, d. h. er könnte es wenigstens thun, findet es aber nicht immer passend, denn es gibt nicht sowohl einzelne Individuen als Ausnahmen, sondern ganze Species, die es für weit vortheilhafter und zweckdienlicher halten, gebückt durch das Leben zu gehen. Nur innerhalb ihrer eigenen Wohnungen nehmen solche Exemplare, besonders ihren Familien und Untergebenen gegenüber, die würdige und aufrechte Stellung des Menschen an und tragen dann den Kopf mit den dazu gehörenden Gesichtstheilen um so viel höher, je tiefer sie ihn draußen bücken. – Zweitens ist dem Menschen die Sprache gegeben, d. h. er bringt andern Menschen theils verständliche, theils unverständliche Laute über die Lippen, und wäre im Stande das, was er denkt, immer frei und deutlich zu sagen – wenn ihn nicht oft direkte oder indirekte Rücksichten daran verhinderten.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Gerstäcker: Zur Naturgeschichte des Menschen. In: Hausblätter, 1860, 1. Band. Adolph Krabbe, Stuttgart 1860, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Naturgeschichte_des_Menschen-Gerstaecker-1860.djvu/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)