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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Horch, da ruft es auf der Straße;
     Gundchen schaut hinaus, und höret
staunend, wie ein Unbekannter

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     Einlaß in das Haus begehret.

Furchtlos mit dem Messinglämpchen
     eilet sie die Stiegenstufen
flink hinab, und schließt die Thür auf,
     schelmisch fragend, wer gerufen.

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Da, am Arm die kranke Gattin,

     tritt der Churfürst ihr entgegen:
„Liebes Mägdlein, willst du heute
     deine Fürstin Anna pflegen?
Sieh, ich bin dein Churfürst August,

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     und will heute bei euch wohnen,

aber darfst kein Wörtchen schwatzen!
     reichlich will ich dir’s belohnen.“

Leis vertraut er noch der Dirne,
     was der kranken Fürstin fehle,

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bindet ihr mit sanfter Bitte

     ihre Pflege auf die Seele.
Gundchen neigt sich freundlich nickend
     vor dem Fürsten, und geleitet
ihn hinauf zu ihrem Vater,

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     der nicht weiß, was das bedeutet.


Lange steht er stumm und schüchtern,
     als ob er’s nicht glauben könne,
daß er den verehrten Churfürst
     seinen Gast für heute nenne,

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_211.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)