Seite:Ziehnert Sachsens Volkssagen II 209.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Von Augustusburg nach Oed’ran
     fuhr durch Finsterniß und Regen
ein Gespann mit zween Fackeln
     langsam in den rauhen Wegen.

5
Drinnen saß der Churfürst August

     und, geschmiegt an seine Seite,
seine liebe Gattin Anna,1)
     nah der neunten Mutterfreude.

Anna saß so stumm und traurig,

10
     still bekämpfend ihre Wehen;

doch sie konnt’ es nimmer tragen,
     bat verschämt mit leisem Flehen:
„Laß uns, August, wenig Stunden
     nur hier rasten! Ach, mich plagen

15
bitt’re mütterliche Schmerzen,

     daß ich’s kann nicht länger tragen!“

„„Aber hier in Frost und Regen
     können wir unmöglich rasten;
wollen uns, herzliebe Anna,

20
     lieber bis nach Oed’ran hasten!““

So der Churfürst, und sein Diener
     muß die Rosse mächtig treiben,
daß sie bald nach Oed’ran kommen,
     um da über Nacht zu bleiben.

25
Doch als sie die Stadt erreichten,

     war schon Mitternacht verflossen,
alle Fenster ringsum finster,
     alle Thüren fest verschlossen.


[Ξ] 1)

Anna, in der Reihe der Churfürstinnen als Mutter Anna bekannt, eine dänische Prinzessin, gebar ihrem Gemahl 9 Söhne und 6 Töchter.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_209.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)