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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Da erwachte auch der Kranke,
     wie aus langem Todesschlaf,
und erschrack in tiefster Seele,
     als sein Blick den Klausner traf.

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Lange lag er ohne Regen,

bis er, über sein Vermögen
     hastig, auf vom Lager sprang,
und, vom Ungestüm der Schmerzen
und der Scham zerknirscht im Herzen,

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     schluchzend Dippolds Knie umschlang.


Doch er hob ihn auf voll Güte,
     und begann: „Was du gethan,
rechne dir’s der Herr des Himmels
     im Gericht dereinst nicht an.

255
Wasche dich von deinen Sünden,

daß du Gnade mögest finden!“
     So der Greis mit ernstem Ton,
Als ob’s ihm das Herz zerreiße,
stand der Sünder vor dem Greise,

260
     und zerknirscht ging er davon.


Da ergreift’s den Jüngling plötzlich,
     wie mit himmlischer Gewalt,
auf die Kniee stürzt er nieder
     vor des Greises Hochgestalt:

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„Tauft mich, Vater! hört mein Flehen!

tauft mich! Jetzt hab’ ich gesehen,
     wie’s so schön ist zu verzeih’n!
Tauft mich! Gern will ich versprechen,
nur durch Liebe mich zu rächen;

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     weiht mich, Vater, weiht mich ein!“


Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_197.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)