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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

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Von der langen Arbeit müde

     kehrt er tiefbetrübt zurück,
mustert seinen kleinen Haushalt
     mit der Sorge trübem Blick.
„Brod nur noch für wenig Tage!

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     Licht kaum für zwei Schichten noch!

Weh mir! – ruft er händeringend –
     wenn mich das Gesicht betrog!“

Traurig greift er zum Gezähe
     mit dem nächsten Morgenroth,

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theilt mit Weib und Kindern redlich

     noch das letzte Haferbrod,
geht gedankenvoll zur Grube,
     fährt mit wenig Hoffnung ein,
und ermüdet Arm und Fäustel 10)

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     an dem tauben Quergestein.


Herber Hunger heißt ihn rasten,
     und mit sorgenvollem Sinn
setzt er sich, sein Brod zu essen,
     auf des Ortes Strosse 11) hin,

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nimmt aus seinem Wamms das Hückchen

     mit dem Licht und Brod heraus,
sieht’s wehmüthig an, und breitet’s
     sinnend auf der Strosse aus.

„Wäre das die letzte Mahlzeit?

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     Gott, o hilf mir in der Noth,

oder gieb mir und den Meinen
     einen schnellen, gnäd’gen Tod!“


[Ξ] 10)

Fäustel, ein Hammer, mit dem der Bergmann das Eisen (Meisel) in das Gestein treibt.

11) Eine Strosse ist das in der Sohle (dem Boden einer Strecke oder eines Stolln) hervorstehende Gestein.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_148.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)