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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Nur der arme Häuer Teller
     stimmt nicht in den Festeschor,
traurig mit gefalten Händen

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     lehnt er an dem Kirchenthor.

In dem schmutz’gen Grubenkittel
     wagt er weiter nicht zu gehn,
und sein Herz, zerknirscht vom Kummer,
     kann die Freude nicht verstehn.

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Endlos war des Mannes Jammer,

     grenzenlos sein Misgeschick,
seit dem Weihnachtsfeste hatt’ er
     keinen frohen Augenblick.
Denn sein Hüttchen war die Heimath

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     jeder Sorge, jeder Noth;

krank sein Weib am hitz’gen Fieber,
     und drei Kinder ohne Brod!

Wehe, gegen wen das Unglück
     mit der Bosheit schließt den Bund! –

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Wohl war Teller immer fleißig,

     immer rüstig und gesund;
wenn das Häuerglöckchen 2) tönte
     fuhr er in den tiefen Schacht,
hatte schon so manches Lachter

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     seine Strecke fortgebracht.


Aber ach, der Herr der Grube
     war ein geitz’ger, harter Mann,
häufte still der Berge Segen
     in den Eisentruhen an,


[Ξ] 2)

Das Häuerglöckchen giebt den Bergleuten das Zeichen, das erste Mal, sich auf den Weg zur Grube zu machen, das zweite Mal, bei der Grube zu seyn.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_142.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)