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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

     Der Kurfürst1) stand im hohen Saal,
     und schaute auf den Hof hinab.
     Sein Narr zwang heut zum ersten Mal
     ihm nicht das kleinste Lächeln ab.

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Stets finster bleibt des Fürsten Auge,

wie auch der Narr den Witz gebrauche.

     „Schweig denn mit deinem faden Scherz!“
     zürnt ihm der Fürst mit düsterm Blick.
     „Dein Mund ist voll, doch leer dein Herz,

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     und deine Thorheit war dein Glück.

Mich ärgert’s, daß mit meinem Golde
ich solchen Narrenwitz besolde!“

     „Dein träges Amt hört heut noch auf,
     arbeiten sollst du Narr fortan!

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     Hol’ mir den Zimmermann herauf,

     und tritt du seine Stelle an!
Er soll nun deine Schelle2) tragen,
und du sollst mit der Axt dich plagen!“ –


[Ξ] 1)

Kurfürst August, der Erbauer von Augustusburg, seit 1553 Kurfürst, starb am 11. Febr. 1586, und ward seiner Güte wegen vom Volke nur Vater August, und seine treffliche Gattin nur Mutter Anna genannt.

2) Die Schellen waren ein bezeichnender Theil der Narrenkleidung, welche überhaupt drollig genug war. Denn ein Hofnarr damaliger Zeit trug eine runde, turbanförmige, oft mit drei Eselsohren und einem Hahnekamm und unzähligen Schellen besetzte Mütze (Narrenkappe), einen großen, gleichfalls mit Schellen besetzten Kragen (Narrenkrause), und eine Pritsche oder Kolben, der in einem Riemen am Arme getragen, und früher blos ein einfaches Holz war, später aber mit einem feingeschnitzten Kopfe, der die Narrenkappe aufhatte, am obern Ende verziert ward.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_129.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)