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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Das Bier wollt’ ihm nicht munden mehr,
er warf im Stuhl sich hin und her,

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und wünscht’, er hätt’ es nicht gewagt –

da schlug es draußen Mitternacht.

Er zählt die Schläge ängstlich nach,
und hu! beim letzten Glockenschlag,
da hebt der Spuk im Hause an,

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und tost und lärmt die Trepp’ heran.

Voll Angst schaut der Trompeter stier
vorn auf des Saales Doppelthür;
da fliegt sie auf mit einem Mal,
die Geister drängen in den Saal.

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Zwölf Männer waren’s und zwölf Frau’n,

gleich scheußlich alle anzuschau’n.
Die Wangen waren hohl und fahl,
die Augen lauch, die Schädel kahl,
die Leiber den Gerippen gleich,

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als hätte sie das Todtenreich

verstoßen, und statt Mantel trug
ein Jegliches ein Leichentuch.

Sie henkten stumm zum luft’gen Reih’n
die klapperdürren Arme ein,

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und stampften sich den Takt, und sah’n

den zitternden Trompeter an,
und winkten ihm mit finsterm Blick,
daß er begänne die Musik,
und dieser, der den Wink verstand,

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nahm bang das Instrument zur Hand.


Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_118.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)