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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

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Doch der gewünschte Schlummer schließt

sein Auge nicht, so müd’ er ist;
die Langeweile führt ihn heut
zum Sinnen auf vergangne Zeit;
die stille Nacht, der öde Saal –

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ihm wird es heut zum ersten Mal

in seinem Wamms so grauerlich,
er greift an’s Kinn, und spricht zu sich:

„Wie ist mir halt so komisch heut?
War doch seit meiner Jugendzeit

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von Furcht und Aberglauben frei,

und lachte solcher Teufelei!
Wie aber, wenn an mancher Mähr
von bösen Geistern doch was wär’? –
Je nun, vor diesen Feinden ist

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ja sicher jeder fromme Christ!“


„Ein frommer Christ? Mag ich das seyn?
Warum fällt mir das heut erst ein?
Bin’s wohl nicht recht; ich trank so gern,
und jeder Kirche blieb ich fern,

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hab’ lange nicht communicirt,

und manch unschuldig Ding verführt,
hab’ manche liebe lange Nacht
beim Würfelspiele durchgebracht!“

So prüft’ er seine Lebensbahn,

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und fand so wenig Gutes dran,

daß ihm, ganz wider seine Art,
im Herzen recht beklommen ward.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_117.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)