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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Doch rasch entschließt sie sich und ruft:
     „Hilf Jesu!“ und hinunter
in die unabsehbar tiefe Kluft
     springt sie, und, Gott thut Wunder,
kommt glücklich zu steh’n auf ein Felsenstück,
und betet und blickt nach der Höhe zurück,

Und springt getrost von Stein zu Stein,
     bis sie dem Blick entschwunden;
der Junker schaute müßig drein,
     und stierte starr nach unten,
als vermöcht’ er das Wunder nicht recht zu versteh’n,
und fröhlich hat Niemand ihn fürder geseh’n3).

[Ξ] 3)

Ueber diese Sage vergl. E. Eschke’s: Der Oybin und seine Ruine, S. 64. Wunderbar ist es, daß sich die hier erzählte Sage verbreitet hat, da doch die Chroniken den Namen Jungfernsprung durch folgende geschichtliche Thatsache genugsam erklären. Am 24. Juni 1601, heißt es in den Chroniken, besuchte ein Mädchen aus Zittau mit mehreren Freundinnen den Oybin, und wettete im jugendlichen Muthwillen, die Felskluft leicht überspringen zu können. Sie glitt aus und sank in die Tiefe, kam aber doch wohlbehalten unten auf einen Felsenvorsprung zu stehen, indem sie ihr, zu jener Zeit gewöhnlicher Reifrock, wie ein Fallschirm, ganz sanft niedergleiten ließ.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 055. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_055.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2018)