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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.


Da brach ihm endlich die Geduld,
     und rief er zween Knechten:

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„Die Närrin da, sie hat die Schuld,

     kann mit sich selber rechten.
Werft tief in den Thurm sie bei Wasser und Brod!
Geschmeidig und willig wohl macht sie die Noth.“

Die rohen Knechte fassen sie

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     mit ihren starken Armen.

„Ha – rief sie – sparet eure Müh!
     Ich ford’re kein Erbarmen!
Der Tod, wie soll er willkommen mir seyn,
er wird mich aus bübischen Händen befrei’n!“

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Im grausenvollen Kerker saß

     sie lange, lange Wochen,
der Junker kam ohn’ Unterlaß
     zu ihr hinabgekrochen,
und versprach ihr die Freiheit und droht’ ihr den Tod;

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doch das Mägdlein blieb standhaft trotz Jammer u. Noth.


Drob sann der Junker hin und her,
     doch ließ er sich’s nicht irren.
„Der Hunger muß – so dachte er –
     sie doch am Ende kirren.“

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Er rief die zwei Knechte: „Dies ist mein Gebot,

daß ihr Wasser ihr reichet doch nimmer mehr Brot!“

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 052. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_052.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)