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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Und hoch bergauf nach Oybin.

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     ging’s nun im scharfen Trotte.

Der Michelsberger hauste drin,
     das Haupt der argen Rotte1).
Der grüßte die Gäste mit vollem Pokal:
„Ha, wer ist denn die Dirne? Herein in den Saal?“

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Da setzten am Kamin sich schnell

     zum Zechgelag die Räuber,
ein alter Harfner krähte grell
     das Lob verbuhlter Weiber,
und Fluchen und Jubel und Becherklang

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verschmolz mit des Harfners schamlosen Gesang.


Wie ward es da der Dirne bang,
     sie weinte bittere Zähren;
wie mühte sie sich, den Gesang
     des Harfners nicht zu hören.

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Sie faltete betend die Hände und sah

zum Himmel, als hoffte sie Hülfe von da.

Da trat des Burgherrn einz’ges Kind,
     Sigmunde, ein zum Saale,
ein Fräulein, fromm und gut gesinnt,

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     und reicht ihr eine Schaale

voll perlenden Weins und ein Honigbrot,
und seufzte: „Ach, helfe dir Gott in der Noth!“

[Ξ] 1)

Seit 1319 gehörte das Schloß den Herzog Heinrich von Jauer, der es einem Schirmvoigte übergab. Am 8. December 1343 nahm es aber der Herr von Michelsberg mit Sturm und machte es zum Schauplatz der ärgsten Greuel, wobei der Junker von Tollenstein sein treuer Gehülfe war.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)