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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

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Es war einmal Nachts im Dezember,

     Eiszapfen hingen an dem Haus
so lang und stark wie Mandeldocken,
Schneewolken beutelten die Flocken
     so groß wie Knäuel Garns heraus.

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Fest war das Thor der Mühle zu,

die Mannschaft drinnen lag in Ruh.

Da ziehn von Cunnersdorf herüber,
     geraden Wegs zur Mühle hin,
zwei Bärenführer mit den Bären,

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als ob sie fest versichert wären,

     daß sie Herberge finden drin,
und klopfen mächtig an das Thor,
und steh’n und harren lang davor.

Da endlich wird es hell im Hause,

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     der Müller macht das Fenster auf,

beleuchtet mit dem Kiefernspane
genau die Bärencaravane,
     mummt sich im Pelz, und öffnet drauf,
und nuschelt gähnend: „Kommt nur ’rein!

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Es wird schon Platz für Alle seyn!“


„Hier hab’ ich einen Stall; doch freilich,
     das will ich euch nur frei gesteh’n,
da drinnen spukt schon längst der Teufel,
der wird den Bären ohne Zweifel

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     die Schnauze auf den Rücken dreh’n.

Weiß nicht – doch, wie ihr denkt! – Je nun,
ihr habt das Lassen oder Thun!“

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 025. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_025.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)