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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

     Der König erwiedert mit jammerndem Sinn:
     „Ich kann euch nicht schützen mit kräftiger Hand!
     Gebt täglich zum Fraße zwei Schafe ihm hin,

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     so wird er wohl nimmer so wüthen im Land!“

Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,
und jagen alltäglich zwei Schafe zur Weide.

     Der Drache erschnappet die Schafe geschwind,
     und bleibt dann ruhig und wüthet nicht mehr.

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     Die Leute darüber voll Freuden wohl sind,

     doch bald ach! betrüget ihr Hoffen sie sehr;
Sie eilen zum Schlosse: „Ach guter Herr König,
bald leer sind die Ställe, und Schafe noch wenig!“

     „O König, Herr König, was fangen wir an?

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     Die Schafe sind alle, die Ställe sind leer,

     und wüthend schon schnaufet der Drache heran,
     und haben wir Lämmer und Schafe nicht mehr!
Herr König, Herr König, was sollen wir machen?
Wie mögen wir wehren dem greulichen Drachen?“

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     Der König erwiedert mit jammerndem Sinn:

     „Und sind denn die Ställe der Schafe schon leer,
     so gebet die Rosse und Rinder ihm hin,
     da wird er wohl schnauben und wüthen nicht mehr!“
Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,

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und jagen die Rinder und Rosse zur Weide.


Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 006. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_006.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)