Julius Weizsäcker hat auch dieses Kapitel wie die Bestimmung des c. V über die Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen über den König, und zwar beide im Zusammenhang miteinander, einer scharfen Kritik unterzogen. Er kommt (a. a. O. S. 39–43) zu dem Ergebnis, daß die Kurfürsten durch regelmäßige Kurfürstentage ihr Kollegium zu einem ständigen Reichsregiment entwickeln wollten, welches, ausgestattet mit der Gerichtsbarkeit über den König und dem dadurch gegebenen Absetzungsrecht, das Königtum sich hätte unterwerfen können. Der Kaiser aber hätte durch die Fassung der hierauf bezüglichen Bestimmungen, deren Einfügung in das Gesetz er nicht gänzlich verhindern konnte, jenes ganze System wirksam bekämpft und die Institute der Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen über den König und der regelmäßigen Kurfürstentage trotz ihrer Anerkennung zur Durchführung der kurfürstlichen Absichten untauglich gemacht.
Glaubte ich schon an der früheren Stelle erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung Weizsäckers geltend machen zu müssen, so scheint mir seine Auffassung dieses Kapitels noch weit bedenklicher.
Seit der Zeit Rudolfs von Habsburg war die hervorragende Stellung der Kurfürsten in der Verfassung des Reichs in ihren Grundlagen gesichert. Die Ereignisse unter den nächsten Königen und namentlich unter Ludwig dem Bayern hatten diese Stellung noch weiter entwickelt und befestigt. Die Rechte, welche die Kurfürsten 1338 unter den Augen des Kaisers für sich und ihre Nachfolger im Kurverein von Rense in Anspruch genommen hallen, waren von Karl IV. weder ausdrücklich anerkannt noch bestritten, und wurden von jenen unzweifelhaft aufrecht erhalten. Das Recht, sich an beliebigem oder herkömmlichem Orte zu beliebiger Zeit zu versammeln, um über das Wohl des Reiches zu beraten oder über gemeinsame Angelegenheiten zu verhandeln und zu beschließen, konnte ihnen kaum vom Kaiser mit einem Anschein von Recht bestritten werden. Aus den allgemeinen Reichsversammlungen, wie jetzt zu Nürnberg, bildeten die Kurfürsten den engeren, ja den eigentlichen und ausschlaggebenden Rat des Kaisers. Oft genug wird in der Goldenen Bulle selbst und in Urkunden, welche über das Zustandekommen der in ihr vereinigten Gesetze berichten, gesagt, daß diese Gesetze auf dem mit den Kurfürsten, Fürsten und andern Reichsständen zu Nürnberg
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)