König irgendwelche Spuren von der Mitwirkung der Gesamtheit der Kurfürsten vorfinden, wenn diese bei ihrer Fassung beteiligt gewesen wären. Grade die Bedingungen, an welche die Ausübung des pfalzgräflichen Rechtes geknüpft wird, sprechen deutlich dafür, daß es sich hier lediglich um eine Auseinandersetzung zwischen dem Kaiser und dem Pfalzgrafen handelte. Der Kaiser wollte den Mißbrauch des pfalzgräflichen Rechtes verhindern, indem er dessen Gerichtsbarkeit über den König nur am kaiserlichen Hofe und in Gegenwart des Kaisers oder Königs selbst zuließ. Freilich ist die Bezeichnung „Kaiserlicher Hof“, curia imperialis, hier wohl nicht nur in der Bedeutung des Hoflagers zu verstehen, sondern in der des Hoftages oder Reichstages, wie denn auch die älteste Frankfurter Übersetzung schreibt: in des richis hoff. Wäre der Satz durch Kompromiß zwischen den Kurfürsten und dem Kaiser entstanden, so wäre wohl die Anwesenheit der Kurfürsten unter den Bedingungen enthalten.
Zuzugeben ist, daß die Goldene Bulle dem Satze von der Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen einen Ausdruck gegeben hat, welcher den Mißbrauch nach Möglichkeit ausschloß; doch darf man nicht mit Weizsäcker die Sache so ansehen, als sei der Versuch, die Gerichtsbarkeit über den König in dem Gesetze zu kodifizieren, vom Kaiser vereitelt und als mißlungen anzusehen. Freilich ist das Recht selbst zunächst nur hypothetisch erwähnt; indem aber die Ausübung des Rechtes an gewisse Bedingungen geknüpft wird, findet es selbst seine gesetzliche Anerkennung. Welche Kompetenz die Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen über den König haben soll, wird allerdings nicht gesagt; grade dadurch aber wird sie als eine unbeschränkte hingestellt, und wenn die Bedingung der Gegenwart des Königs und der Anwesenheit einer Reichsversammlung praktisch eine Gefahr für den König in der Regel ausschließen mußten, so war doch die Möglichkeit eines Verfahrens gegen Krone und Leben des Königs theoretisch dadurch nicht beseitigt. Wir dürfen daher in dem Satze der Goldenen Bulle nicht den Versuch einer Kodifikation des Spiegelrechtes, sondern die Tatsache der Kodifikation desselben erblicken. Was Eike von Repgow im Sachsenspiegel über die Gerichtsbarkeit des Pfalzgrafen über den König ausführte, war wohl ebensowenig eine von ihm ersonnene Theorie, wie seine Darstellung vom Rechte der Königswahl. Beides beruhte auf einer
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)