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Nirgends Reformen; überall nur Kodifikation. Daraus aber ergibt sich die Richtung, in der die Wirkungen des Gesetzes allein liegen konnten.

Nach Zweck und Inhalt konnte die Goldene Bulle nur in konservativer Richtung wirken. Sie mußte dazu beitragen, die herrschende Staatsform des Reiches zu erhalten, oder doch deren Fortentwicklung auf den gegenwärtigen Grundlagen begünstigen. Und in der Tat ist kaum daran zu zweifeln, daß die Goldene Bulle einen großen Anteil an dem dauernden Fortbestande der Grundlagen der Reichsverfassung gehabt hat. Wenn das heilige römische Reich bis zu seiner Auflösung ein Wahlreich seiner Form nach und zum Teil wenigstens dem Wesen nach geblieben ist, wenn die Kurfürsten dauernd die wichtigsten Organe der Reichsverfassung geblieben sind, so wäre das vielleicht auch ohne unser Gesetz so geworden; dieses aber hat eine Änderung der Grundlagen der Reichsverfassung seit seiner Anerkennung als ein Fundamentalgesetz des Reiches unmöglich gemacht. Diese ist erst im 16. Jahrhundert erfolgt und hat sich sehr langsam vorbereitet.

Die ganze Fassung des Gesetzes in ihrer Feierlichkeit, insbesondere die pomphafte Einleitung und nicht weniger die häufige und nachdrückliche Betonung der ewigen Dauer der Bestimmungen machen den Eindruck, daß der Gesetzgeber hier ein Werk von ganz hervorragender Bedeutung und dauernder Wirkung schaffen wollte. Der anspruchsvollen Form und der inneren Bedeutung des Gesetzes entsprach nun wenig die Beachtung, welche es in der Öffentlichkeit fand, wie das schon oben[1] hervorgehoben wurde, und ebensowenig die Behandlung, die der Gesetzgeber selbst ihm angedeihen ließ. Nach unsern Anschauungen entspricht es schon wenig der Würde eines Gesetzes, wenn seine Bestimmungen zum Teil in Form von Privilegien einem Reichsstande verbrieft werden mit der Klausel, daß diese Vorschriften die Untertanen des Empfängers nicht nur wie alle Reichsuntertanen als allgemeines Gesetz binden sollen, sondern

noch besonders als Privileg gegenüber dem Empfänger.[2]


  1. S. 2 ff.
  2. Urkunden Nr. 27, Teil II, S. 104; Nr. 29, ebenda S. 112: non solum eo modo, quo hiisdem legibus universi sacri imperii subditi ligari noscuntur, verum eciam presentis nostri privilegii imperialis ac decreti virtute perpetuis temporibus teneantur.
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Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/245&oldid=- (Version vom 1.8.2018)