Harnack beruft sich darauf, daß die Arenga von XX nichts mit den folgenden Kapiteln zu schaffen habe, und für diesen Fall trifft seine Argumentation zu. Hier ist aber auch ein ursprünglicher innerer Zusammenhang von XX mit den drei folgenden Kapiteln durchaus nicht anzunehmen, und wenn man die Kapitel XX–XXIII trotzdem als eine Satzung zusammenfaßt, so kann das nur in dem Sinne geschehen, daß diese Stücke gleichzeitig dem ursprünglichen und bereits abgeschlossenen Bestande des Gesetzbuches hinzugefügt sind. Ein innerer Zusammenhang besteht zwischen XX und den drei folgenden Kapiteln jedenfalls nicht. Dagegen sind XXI und XXII im engsten Zusammenhange und ursprünglich als eine einheitliche Satzung verfaßt, und auch XXIII ist vielleicht gleich im Anschluß an diese entstanden.
Gegen die sich aus dem Inhalt mit voller Sicherheit ergebende Annahme der Entstehung aus einzelnen ursprünglich selbständigen Satzungen kann natürlich auch das älteste Exemplar auf keinen Fall ein entscheidendes Zeugnis ablegen. Selbst wenn dieses älteste Exemplar – und als solches erkennen wir mit Harnack das böhmische für die Nürnberger Gesetze an – der Publikation zu Nürnberg am 10. Januar zu Grunde gelegt wäre, so würde der Umstand, daß sich in demselben eine Einteilung in Kapitel findet, nichts gegen die Annahme beweisen, daß das ganze Gesetz durch Zusammenfügung verschiedener ursprünglich selbständiger Bestandteile, die sich mit den Kapiteln nicht durchweg deckten, entstanden sei.
Stimmen unsere Resultate in den wesentlichsten Punkten mit der älteren auch von Friedjung übernommenen Satzungstheorie überein, so doch keineswegs in allen Einzelheiten. Ebenso wie jene ältere Theorie erkennen wir in den Kapiteln I und II die erste und in III–VI die zweite Satzung, wobei wir nur dahingestellt sein lassen, ob VI schon ursprünglich mit der zweiten Satzung verbunden war, oder ihr erst bei der Zusammenstellung des ganzen Nürnberger Gesetzbuches angefügt wurde. Wenn aber die ältere Ansicht als dritte Satzung die Kapitel VII–XI und als vierte XII–XIX zusammenfaßte, so stimmen wir damit nicht überein. In VII lernten wir eine ganz selbständige und auch für sich publizierte Satzung, also die dritte nach unserer Zählung, kennen, in VIII–XI die vierte
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/151&oldid=- (Version vom 1.8.2018)