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es sehr unwahrscheinlich, daß es nur für ein so wenig umfangreiches Gesetz verfaßt worden sei. Völlig ausgeschlossen wird aber diese Annahme durch den Inhalt des Vorwortes. Sowohl in dem biblischen als auch in dem historisch-mythologischen Teile der Arenga wird die Zwietracht als der wesentlichste Grund aller Zerrüttung hingestellt. Dann wird der Zwietracht unter den Kurfürsten als der größten Gefahr für das Reich gedacht, welcher der Gesetzgeber vorbeugen will. Er habe sich daher entschlossen, die nachfolgenden Gesetze (infra scriptas leges) zu erlassen zur Bestärkung der Einigkeit unter den Kurfürsten und zur Herbeiführung der einmütigen Wahl: ad unitatem inter electores fovendam et electionem unanimem inducendam. Die beiden ersten Kapitel aber enthalten nur diejenigen Anordnungen, welche bestimmt waren, eine formell einmütige Königswahl auf der materiellen Grundlage des Majoritätsprinzips zu sichern, während die Bestimmungen, welche ausgesprochenermaßen den Zweck haben, die Einigkeit der Kurfürsten zu erhalten, erst mit Kapitel III beginnen. Ein weiterer Grund gegen jene Beschränkung ergibt sich aus dem Charakter des Stückes. Es ist nämlich keineswegs eine einfache Arenga, wie sie etwa den einzelnen in der Goldenen Bulle vereinigten Gesetzen vorangestellt ist; vielmehr trägt es mehr den Charakter eines Publikationsedikts. Hier liegt nicht die Einleitung eines in der Publikation begriffenen Gesetzes, sondern der Bericht über einen bereits vollzogenen gesetzgeberischen Akt vor. Es wird ausführlich berichtet nicht nur über die Absichten des Gesetzgebers, sondern auch über die am 10. Januar zu Nürnberg vollzogene Publikation. Wollen wir in diesem Berichte nicht nur ein in erzählender Form verfaßtes Programm erblicken, wozu es mir an jedem Grunde zu fehlen scheint, so kann das ganze Proömium oder doch sein historisch berichtender Teil erst nach der Publikation am 10. Januar verfaßt sein. Nur unter dieser Voraussetzung können wir das Proömium als vollwertige Quelle für die Geschichte des Gesetzbuches verwenden. Damit aber ist zugleich die Beschränkung des Stückes auf die beiden ersten Kapitel gänzlich ausgeschlossen. Hatte das Wahlgesetz ursprünglich überhaupt eine Arenga, so ist dieselbe bei der Redaktion des Gesamtgesetzes fortgelassen. Sie mußte mit Rücksicht auf das große Gesamtproömium unterdrückt werden.

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Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/149&oldid=- (Version vom 1.8.2018)