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des Zufalls. Das Geschick des Redaktors ist um so mehr zu bewundern, als ihm durchaus nicht alle Kapitel einzeln, sondern zum Teil schon in größeren Stücken vereinigt vorlagen, wodurch die Herstellung einer einheitlichen Disposition erschwert werden mußte. Keinenfalls aber kann der vortrefflichen, geschlossenen Anordnung gegenüber, welche in der Gesetzgebung des Reiches im Mittelalter und fast auch noch in der neueren Zeit ohne Beispiel dasteht, keine Rede davon sein, daß die einzelnen Teile der Goldenen Bulle lediglich nach der zeitlichen Folge der Beschlüsse aneinandergefügt seien.

Gegenüber diesem wohlgeordneten, abgeschlossenen Ganzen läßt sich nun deutlich in den noch folgenden Kapiteln XX–XXIII ein Nachtrag erkennen. Wären diese Kapitel schon vor dem Abschluß des ursprünglichen Teiles vorhanden gewesen, so hätte c. XX, welches eine Ergänzung zu c. VII bildet, hinter diesem seinen Platz finden müssen; die drei letzten Kapitel aber enthalten Ergänzungen zu c. III und IV, auf welche sie als in principio constitucionum nostrarum befindlich ausdrücklich Bezug nehmen, und hätten demgemäß hinter diesen ihren Platz finden müssen. Indem wir nun die Entstehungszeit dieser Zusatzkapitel genau feststellen können, ergibt sich zugleich der terminus ante quem für die Vollendung des ursprünglichen Gesetzes. Am 10. Januar 1356 wurde das Gesetz mit den Zusatzkapiteln feierlich publiziert; das erste der Zusatzkapitel aber ist auf Grund von Weistümern der Kurfürsten verfaßt, welche erst am 7. Januar gefunden sind, wie das oben eingehend nachgewiesen wurde. In der kurzen Spanne Zeit vom 7. bis 10. Januar ist also der Nachtrag dem vorher schon fertigen Gesetz hinzugefügt worden. Demnach muß das ursprüngliche Gesetz am 7. Januar bereits fertig vorgelegen haben. Ja wir dürfen wohl mit Sicherheit annehmen, daß es nicht erst an diesem Tage selbst, sondern spätestens am Tage vorher vollendet wurde. Wenn nun aber ein fertig redigiertes Gesetz bereits am 6. Januar vorlag, und wir können mit Bestimmtheit sagen, in Reinschrift vorhanden war – denn sonst hätte man ja jene Nachträge noch an den richtigen Stellen einordnen können –, und wenn dann die Publikation erst nach Hinzufügung eines inzwischen verfaßten Zusatzes am 10. Januar erfolgte, so liegt die Vermutung nahe, daß ursprünglich ein früherer Termin für die Publikation in Aussicht genommen

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Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/137&oldid=- (Version vom 1.8.2018)