Unter derselben Voraussetzung erklärt sich auch die völlige Übergehung des Haltens des Reichsschwertes beim Festmahle am besten. Wie wir im Exkurs über das Schwertträgeramt darlegen werden, war 1298 die feste Verbindung des Schwertträgeramtes mit dem Marschallamte trotz des Schwabenspiegels und der Memorialverse, welche den Sachsenherzog als dux portitor ensis bezeichneten, noch nicht endgültig anerkannt. Deshalb brauchte ein Kurfürstenzeremoniell König Albrechts nicht darauf Rücksicht zu nehmen.
Ist nun aber die Annahme zulässig, daß in c. XXVII die Funktionen des Schwertträgeramtes notwendig hätten zum Ausdruck kommen müssen, wenn es erst 1356 von Grund auf neu verfaßt wäre? Könnte man nicht einwenden, daß in dem Rahmen des Kapitels für die Erwähnung des Schwerttragens oder -haltens kein Platz vorhanden war? Zuzugeben ist ohne weiteres, daß der Erzmarschall wegen des ihm zukommenden Ehrensitzes beim Festmahle unmöglich während der ganzen Dauer des Mahles oder anderer festlicher Sitzungen das Reichsschwert zu halten imstande war. Er mußte sich in dieser Funktion notwendig vertreten lassen, wie das denn auch 1338 der Herzog von Brabant getan hatte. Wäre aber unser Kapitel wirklich erst 1356 abgefaßt worden, so hätte zum mindesten gesagt werden müssen, daß der Sachsenherzog nach Ankunft des feierlichen Zuges das von ihm bis dahin getragene Schwert einem Vertreter übergeben solle, damit dieser es während der Tafel oder der Sitzung vor dem Kaiser halte. Durch die Urkunde Karls IV. vom 27. Dezember 1356 über den zwei Tage vorher ausgebrochenen Streit wegen des Schwerttragens erfahren wir, daß damals Herzog Rudolf von Sachsen persönlich das Schwert auch bei Tische gehalten hat. Das kann sich aber nicht auf die ganze Dauer der Mahlzeit beziehen, da sonst nach der Bestimmung des c. XXVIII der Goldenen Bulle, welche vorschreibt, daß die Kurfürsten, die ihren Dienst verrichtet haben, sich an ihre Tische begeben, aber nicht eher niedersitzen sollen, bis auch der letzte der Kollegen mit seinem Dienste fertig ist, die Kurfürsten ihr Mahl erst dann hätten beginnen können, wenn der Kaiser die Mahlzeit beendigt hatte; was doch nicht wohl denkbar ist. Wie nun damals wahrscheinlich der Erzmarschall, nachdem er kurze Zeit das Schwert persönlich gehalten
Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/116&oldid=- (Version vom 1.8.2018)