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die Vorlage für das Gesetz, und nicht umgekehrt dieses die Vorlage für jenes gebildet hat, dürfte sicher sein. Dafür spricht schon der Charakter des Gesetzes als Nachtrag zu dem bereits abgeschlossenen Gesetzbuche, für welchen ein Anlaß vorhanden sein mußte, sowie der Umstand, daß eine Urteilfindung durch die Kurfürsten auf Grund eines noch nicht publizierten Gesetzes kaum denkbar wäre, während die Verallgemeinerung zweier Weistümer durch ein kaiserliches Gesetz sehr begreiflich erscheint. Endlich sprechen zwei Punkte, in welchen Weistum und Gesetz sich unterscheiden, deutlich für die Priorität des ersteren.

Nach dem Weistum bilden das Fürstentum mit dem Gebiet und das Erzamt die Grundlage des Kurrechtes, dieses ist auf jene „gegrundfestiget“, wie es in den deutschen Texten heißt; während nach der Goldenen Bulle das Fürstentum nebst Gebiet die Grundlage der Kur und des Amtes sowie anderer mit der Kur zusammenhängender Würden und Rechte bildet. Erstere Auffassung ist die ältere. Sie entspricht dem Sachsenspiegel und anderen Rechtsquellen des 13. Jahrhunderts und tritt uns noch entgegen in den Privilegien für Sachsen vom Jahre 1355; und auch im kurfürstlichen Weistum für Sachsen vom 2. Januar 1356 wurde dem Herzog Rudolf die Kur zuerkannt in seiner Eigenschaft als Sachsenherzog und Erzmarschall des Reiches, tamquam dux Saxonie ac sacri imperii archimarescallus.

Die Goldene Bulle wollte vielleicht gar nicht einen bewußten Gegensatz zu der älteren Anschauung zum Ausdruck bringen, obwohl sich auch dafür Momente geltend machen ließen; jedenfalls aber wäre es schwer begreiflich, wenn bei Abfassung des Weistums der Gesetzentwurf vorgelegen hätte, und man doch nicht der darin zum Ausdruck gebrachten Auffassung gefolgt wäre, sondern der älteren.

Der andere wesentliche Unterschied liegt in der Bestimmung über die Zulassung zu den Handlungen der Kurfürsten. Während das Weistum von der admissio ad quaslibet causas et omnia facta pro honore et utilitate sacri imperii handelt, spricht das Gesetz von der admissio ad electionem et omnes actus alios pro sacri imperii honore vel oportunitate. Auf dem Nürnberger Reichstage handelte es sich um alle möglichen anderen Dinge, nicht um eine Königswahl; daher ist es erklärlich, wenn das Weistum vom 7. Januar nur von der Zulassung

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Karl Zeumer: Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. (Teil 1). Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1908, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeumer_Die_Goldene_Bulle.pdf/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)