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Herzen, die Schmerzen der Mütter belohnte. Nichts geht über die Angst, womit die Mutter ein verlohrnes Kind sucht, und nichts über die Freude, womit sie’s nach langem Suchen, nach vieljähriger Entfernung wieder findet, und wie neugebohren umarmet. Das Verlangen der Mutter nach Kindern ist die schönste Sehnsucht, die im Gürtel der Liebe lag, ja aus der, bey allen reinen Weibesherzen, er eigentlich ganz gewebt scheinet. Sie sind die Priesterinnen am heiligen Feuer der Vesta; und wehe dem verachteten Geschöpf, das statt dieser Flamme von einer andern glühet! Nur die Spitze seines Pfeils hat Amor mit Verlangen gesalbet; [1] unglücklich, wenn der ganze Pfeil davon glühet.

     Zu wem kann ich von der zärtlichen, göttlichen, ewigen Elternzärtlichkeit hinaufsteigen, als zu Dir, große allgemeine Mutter, zärtlichster höchster Vater! Meine Sprache hat kein Wort die Empfindung zu nennen, mit der Du dich in jedes Geschöpf, in jede Nerve und Winkel eines



  1. Χρισας αφυκτον οιϛον ιμερω. Euripid.


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_356.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)