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machten den Knoten unauflöslich. Wie wahr ists, was jener Freund von seinem Freunde singet: deine Liebe war mir mehr als Frauenliebe! Die Schöpfung kennt nichts Edleres, als zwey freywillig- und unauflöslich zusammengeschlungene Hände, zwey freywillig Einsgewordne Herzen und Leben. Gleichviel ob diese beyden Hände männlich oder weiblich oder beyderley Geschlechts sind: es ist ein stolzes aber ungereimtes Vorurtheil der Männer, daß nur sie zur Freundschaft taugen. Oft ist ein Weib darzu zarter, treuer, fester und goldreiner, als eine Reihe schwacher, fühlloser, unreiner männlicher Seelen; und wo Untreue, Eitelkeit, Rivalität, Leichtsinn statt findet, da ist Freundschaft für beyderley Geschlecht unmöglich. Auch Ehe so Freundschaft seyn: und wehe, wo sies nicht ist, wo sie nur Liebe und Appetit seyn wollte! Es ist einem edeln Weibe süß, auch um ihres Mannes willen zu leiden, geschweige sich mit ihm zu freuen, und Er sich in Ihr; Sie sich in Ihm wirksam, fröhlich, honett, geschätzt und glücklich zu fühlen.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_345.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)