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Es ist eine schöne Sage der ältsten Dichtung, daß Liebe die Welt aus dem Chaos gezogen, und die Geschöpfe mit Banden des Verlangens und der Sehnsucht wechselseitig an einander geknüpft habe: daß mit diesen zarten Banden sie alles in Ordnung erhalte, und zu dem Einen leite, der Quell alles Lichts ist, wie aller Liebe. Unter wie mancherley Namen und Einkleidungen dieß dichterische System vorgetragen ward, so ist in ihm überall dieß Allgemeine kenntlich: „daß Liebe die Wesen vereinige, wie Haß sie scheide; in Liebe und Vereinigung gleichartiger Dinge bestehe aller Genuß der Götter und Menschen: Sehnsucht und Verlangen endlich seyn gleichsam die Brautführerinnen der Liebe, die starken und doch zarten Arme, die allen Genuß herbey ziehn, vorbereiten, ja die selbst das größeste Vergnügen vorahnend gewähren.“

     Indessen ward auch bald die andere Seite des Systems sichtbar, daß diese Liebe Grenzen

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_334.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)