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Welt ist ein Spiegel, dein Leben ein Schmuck, ein Künstlerleben; was wird dein Geschäft seyn, wenn du einmal in Menschengestalt Schönheitslinien entwirfst, und Reize an dir oder in der Natur studierest? –

     Ch. Apropos, mein Freund, haben Sie den Roman des Bischofs Berkeley, Gaudentio von Lucca, gelesen?

     Th. Ich kenne ihn nicht.

     Ch. Er hat ein hübsche Idee der Seelenwandrung, die er seinen Mezzoraniern beylegt. Er läßt sie glauben, daß die Seelen der Thiere nach den Wohnungen menschlicher Körper geitzen, und sich auf alle Weise dahinein zu stehlen suchen. Es gelinge ihnen, sobald der Mensch die Fackel seiner Vernunft tauen läßt, und also die Uebermacht verliehrt, sich selbst zu leiten. Nun werde er rachsüchtig, grausam, wollüstig, geitzig, nachdem dieses oder jenes Thier ihn verfolge und den Platz seiner vernünftigen Seele einnehme. Mich dünkt, die Allegorie ist artig. –

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_312.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)