Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung | |
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Th. Zu versöhnen? Sie wären also ein Feind Gottes, wenn keine Seelenwandrung im Kreislauf der Menschheit wäre? Sie müßten seine Gerechtigkeit und Vatermilde läugnen, wenn er sie nicht auf dieser Erde einigemale wiedergeboren werden liesse? Für mich gestehe ich, ich habe herzlich gnug, Einmal auf der Erde als Mensch gewesen zu seyn und mein Leben durchlebt zu haben: denn wenns köstlich gewesen ist, sagt einer der ältesten Weisen, wars Mühe und Arbeit[1], und das ist sein ewiger Cirkel. Der Mensch vom Weibe gebohren lebt kurze Zeit und ist voll Unruh: geht auf wie eine Blume und fället ab, fleucht wie ein Schatten und bleibt nicht.[2] – Das ist sein Schicksal.
Ch. Trauriges Schicksal!
Th. Traurig und tröstlich, gnug es ist sein Schicksal. Sehen Sie das menschliche Leben in seiner ganzen Zusammenordnung an, ists nicht, als ob Ihnen alles in ihm zuriefe: "Gottlob! ich muß nur Einmal gelebt werden." Der
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_269.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)