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Die Tonkunst lächelte: „das wäre gut, es ist auch zuweilen nothwendig, schwerlich ists aber hinreichend. Wie oft verführen mich deine Dichter, statt mich zu führen? ja vielleicht haben sie meine Kunst unter den Menschen am meisten mit verderbet. Zudem erinnere dich, Schwester, an das, was du selbst sagtest: der Tonkünstler schöpfe aus sich selbst, er müsse jedesmal die Sprache seiner Empfindungen neu bilden. Kann er dieß nun nicht; fühlt er die Empfindungen nicht, die ja der Dichter nur bezeichnet, nur unvollkommen schildert, wie will er sie ausdrücken? wie könnte sie ihm der Dichter mit seinen Worten beybringen und einflößen? Mit Worten jemanden Töne, gar ein Tongebäude von Empfindungen einflößen, das er nicht in sich hat, ist unmöglich, also liegt die Sündenmaterie im Misbrauch der Tonkunst selbst, und muß von innen geheilt werden. Uebrigens bleibts dabey, Schwester, daß wir beyde, Poesie und Musik, zusammen gehören, und vereint auch die größte

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_181.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)