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Sie ist Weib, und kann von Künsten und Würkungen der Weiber am besten urtheilen; dazu ist sie unsere Schwester. Kommt her, sagten sie, und rücke vom Schooß Apolls, wo du ihn mit deinen schönen Haarlocken nur verwirrest, näher zu uns herüber. Die Poesie thats gerne, und der Streit begann zum dritten und letztenmale.

     Mich dünkt, sprach die Poesie, meine Schwestern, wenn ihr zu einigem Vertrage kommen wollt, müsset ihr, wie Vater Apoll eben gesagt hat, sorgfältiger die Wirkungen unterscheiden, auf die ihr arbeitet, also auch mehr den Sinn der Seele bestimmen, auf den ihr wirket. Du Malerey, wirkst mehr auf Phantasie, als auf das Herz; aber die Phantasie kann auch zum Herzen kommen, und wenn sie nicht dahin reicht, ist sie gemeiniglich desto näher dem Verstande. Also sind alle deine Darstellungen klärer, aber wie du Tonkunst willt, auch kälter. Das ist der Malerey keine Schande, sondern mag eben ihr Vortheil werden: denn Richtigkeit und

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_170.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)