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verliehren. Zween also und zwar den tiefsten und edelsten Trieben im Menschen, der Neigung nämlich seine Ideen zu erhellen und zu erweitern, sodann seine Gedanken und Empfindungen andern mitzutheilen, verdankt wie jede Zuschrift, so auch insonderheit die kürzeste und künstlichste der Zuschriften, das Epigramm sein Daseyn.

     Ich habe mein Beyspiel von einer fröhlichen Empfindung gewählt; bey traurigen Gefühlen wirkt dasselbe Bedürfniß, nur etwa noch reger und stärker. Ein Weinender will seinem Schmerz Luft machen; und so bald er ihn in Worte bringen kann, wird das drückende Weh seines Herzens ihm leichter. Sollte auch niemand seine Seufzer hören, oder seine Klagen lesen; gnug, sie zerrannen in Thränen, sie athmeten in Worte aus: dadurch erhellete, und beruhigte sich die Seele. In Absicht auf andere ist ebenfalls die Neigung des Betrübten, Mitleiden eines gleichgestimmten Herzens zu erregen, stärker, wenigstens wirksamer, als selbst der Trieb der sich mittheilenden

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Erste Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1785, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_I_134.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)