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verwüstet und selbst ihr Grab war nicht verschont. Eine Zeitlang blieb sie auf dem öden Grabe und lange hörte man auf ihm ein unsichtbares Aechzen.

Sie stieg zum drittenmal hernieder; da floß um Bethlehem der unschuldigen Kinder Blut. Ihre Mütter weinten und auf ihrem Grabe weinete Rahel laut. Untröstlich ächzte sie: „sie sind, sie sind nicht mehr.“ Man hörte lang’ am Grabe das weinende Ach: „sie sind nicht mehr.“

Und als sie wiederkehrte, sprach der Allbarmherzige: ruhe jetzt, meine Tochter, und quäle dein Herz nicht mehr um deiner Kinder Leiden. Der Weg der Sterblichen führt bald in Thäler, wo nur Klagen tönen; bald, wenn das Thal sich wendet, wird die Klage selbst Lobgesang. Vertrau mir deine Kinder an; sie sind auch meine Kinder: dein Herz ist nicht gemacht, der Erdgebohrnen Schicksal zu tragen und zu lindern.“

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Dritte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1787, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_Band_III_249.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)