Seite:Zerstreute Blaetter 6.pdf/96

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

     Was ist von Deinen zehen tausenden

80
Gedanken Dein? Das Reich der Genien,

Ein großer untheilbarer Ocean,
Als Strom und Tropfe floß er auch in dich
Und bildete Dein Eigenstes. Was ist
Von deinen zehen-zehen tausenden

85
Empfindungen das Deine? Lieb und Noth,

Nachahmung und Gewohnheit, Zeit und Raum
Verdruß und Langeweile haben Dir
Es angeformt und angegoßen, daß
In Deinem Leim Du neu es formen sollst

90
Fürs große, gute, ja fürs beßre All. –

Dahin strebt jegliche Begier; dahin
Jedweder Trieb der lebenden Natur,
Verlangen, Wunsch und Sehnen, Thätigkeit,
Und Neugier, und Bewunderung, und Braut-

95
Und Mutterliebe. Daß vom innern Keim

Die Knospe sich zur Blum’ entfalt’ und einst

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/96&oldid=- (Version vom 1.8.2018)