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Mit jedem Alter tauschtest du dich um;

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Kein Theil des Körpers war Derselbe mehr.

Du täuschtest dich mit dir; dein Spiegel selbst
Enthüllte dir ein andres, neues Bild.

     Verlangtest du, ein Jüngling, nach der Brust
Der Mutter? Als die Liebe dich ergriff,

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Sahst du die Braut wie deine Schwester an?

Und als der Traum der Ehre fort dich riß,
Verlangtest in die Windeln du zurück?
Schmeckt dir die Zuckerbirne, wie sie dir,
Dem Kinde, schmeckte? Und die innre Welt

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Der Regungen, der lichten Phantasei,

Des Anblicks aller Dinge, ist sie noch
Dieselbe Dir, wie sie dem Knaben war?

     Ermanne Dich. Das Leben ist ein Strom
Von wechselnden Gestalten. Welle treibt

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Die Welle, die sie hebet und begräbt.

Derselbe Strom, und keinen Augenblick

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)