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Die frechsten Seelen, schonend keine Müh.

Und diese Lieb’ und Strenge flößte sie
All’ ihren Geistestöchtern ein, vor allen
Der eignen Tochter, die ihr Abbild war.

     Eustochium, (so hieß das holde Kind,

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Paulla Romana an Gemüth und Herz,)

Saß an der Mutter Bette, als im Alter
Der Tod ihr nahte. Um sie knieeten
Die Heiligen und Schwestern. Lange schon
Lag Paulla mit geschloßnem Auge, stumm

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Und kalt. Ihr Othem schwieg; man stimmete

Das Brautlied an, das Lied der Sterbenden:

          „Wohlauf, Geliebte! Meine Freundinn, auf!
     Der Winter ist vergangen!
     Die Regenzeit vorüber!

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     Gekommen ist der Frühling,

     Die Blumen sprossen schon!“


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/326&oldid=- (Version vom 1.8.2018)