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Auf der Stirn fröhlicher guter Kinder, auf dem Antlitz der unbefangenen, heitern Unschuld, der reinen Liebe, der verzeihenden Großmuth – wer sah und liebte nicht jene ruhige Stille, in der uns ein Engel gegenwärtig zu werden scheinet? – Endlich in den Schmerzen der Krankheit, der Leiden, der Verfolgung, im Tode, nach dem Tode; hier gönnet der frommen Legende ganz ihren Lauf: hier ist das Herz sich selbst eine reiche Legende. Wenn eine Tochter am Sterbebett ihrer Mutter das Antlitz siehet, das sie bald nicht mehr sehen wird, und ihre letzten Worte höret; wenn der Blick des Redlichen, des zu Tode Gequälten sich noch Einmal dankbar froh gen Himmel, segnend-froh zu denen wendet, denen er hienieden nichts als Gutes gethan hat; und wenn Augenblicke nachher, von der ernsten Hand des Todes berührt, sein Gesicht die wahre Gestalt seiner Seele im vestesten Bilde zeiget, da lasset doch ja dem stillen Gemüth einer traurenden Kindesliebe seine Kraft, die Züge des

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/278&oldid=- (Version vom 1.8.2018)