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im leichteren Hausgewande munter geschäftig. Es ist unläugbar, daß wir mittelst süßer Hoffnungen das Leben hindurch gelockt und gewissermaasse getäuscht werden: denn selten giebt die Wirklichkeit Das ganz und rein und lange, was die Mahlerinn Hoffnung sich vorspiegelte. Der Kreis unsrer Ideen fodert dies, und die Natur konnte nicht anders. Hoffend umfassen wir das ganze Bild der Zukunft; Tage, Monathe, Jahre trennen es, lösen es rasch oder leise von einander; da entflieht der Zauber. Hoffend bereiteten wir die Speise nur für uns selbst, ganz nach unserm Gaum; es giebt aber auch andre, die mitessen und mitbereiten, nach ihrem Gaume. Hoffend genossen wir auf Einmal Jahre, Zeiten, Ewigkeiten, ein ganzes Daseyn; die Zukunft führt uns durch diese Scenen langsam hindurch, und kann auf einmal nicht alles geben, damit sie noch etwas zu geben habe. Selbst, glaube ich, das ewige Leben wird nur Stufenweise genossen werden, nicht so auf einmal,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/265&oldid=- (Version vom 1.8.2018)