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O daß ich gesehn dich hätte fallen!
Auf den Wellen hätt’ ich dich ergriffen,
Schnell ergriffen, und dich nicht verfehlet.
Denn wo fänd’ ich Deinesgleichen Eine?
Hätt’ ich Habichtsflügel; in die Wolken
Folgt’ ich dir, und holte dich hernieder! –

     Mit ihr ist mein Leben mir verlohren;
Voll von Traurigkeit, mit Schmerz beschweret,
Zieh’ ich in den Wald. Ich will den Bäumen
Ihre Rinde nehmen, mir zur Speise;
Dann, erwachend mit dem frühsten Morgen
Eil’ ich an den See. Ich will die Ente
Aanguisch jagen; rings umher die Augen
Will ich forschend drehn, ob meine Liebe
Sich mir zeig’, ob ich sie wiederfinde? –

Einbildungen dieser Art sind nicht Philosophie, sondern ein sinnlicher Wahn sinnlicher Menschen. Die Thiere, wie alles Lebendige, stehen von ihnen nicht so weit ab, wie wir uns über sie erhoben dünken.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/215&oldid=- (Version vom 1.8.2018)