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Traum, oder Betrug des Zauberers, oder wahrscheinlich beides: so zeigts die Meinung dieser Völker von ihrem Reich der Seelen. Der junge Held wird ein zweiter Orpheus, der seine geliebte Eurydice sucht, findet, gewinnt, und auf immer verlieret.


Da dies Reich der Seelen beinah allgemein auf der Erde von den heidnischen Völkern geglaubt ward; so fällt mir aus einem Winkel Europens eine Geschichte bei, die wenigstens ihrer Seltenheit wegen hier einen Plaz verdient. Es ist bekannt, daß die alten heidnischen Völker an der Ostsee, Preußen, Letten, Kuren, Esthen u. f., wie andre Völker, ein Reich der Seelen glaubten; daher sie den Körper des Verstorbnen wohl ankleiden, ihm die zur Reise nöthigen oder sonst seine besten Geräthe mitgaben, und nach dem Todtenmal, das sie der Seele des Verstorbenen zugerichtet hatten, sie mit eignen Ceremonien in ihren neuen Aufenthalt wiesen.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/153&oldid=- (Version vom 1.8.2018)