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     Wer sich verlohr, was hätt’ er ohne Sich?
Was in dem Herzen andrer von Uns lebt,
Ist unser wahrestes und tiefstes Selbst.

     Was mit der weiten Welt uns einet, was

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Uns innren Frieden schafft im Sturm der Zeit,

Uns Frevel übersehn, vergeßen lehrt,
Und mild’ erkläret, wie dann und woher
Der Thor ein Thor sei? ist ein großes Selbst.

     Was ungereizt von außen unser Herz

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Aufregt und hoch erhebt; es spannt uns

Die Flügel weit und hält sie, daß im Sturm
Sie über Lüften wie im Neste ruhn,
Und frischer aufwärts schlagen; was in Ruh
Geschäftig macht und innrer Kräfte voll

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Des äußern Danks sich wundert, wenn am Ziel,

Am Ziel der Laufbahn nur sein Auge weilt,
Wer ists? ein überschwenglich-großes Selbst.


Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/105&oldid=- (Version vom 1.8.2018)