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der einwirkung lebendiger phantasie entzogene darstellung, wie wir sie so oft bei uns finden, den wahren charakter des märchens ausmache, während, wenn es auf treue und wahrheit ankommt, sich nur niemand anmaßen darf den inhalt nach gutdünken zuzuschneiden, wegzulassen, oder aus eigenen mitteln zusätze und veränderungen zu machen. der ausdruck der überlieferung aber kommt aus der seele des erzählenden, und wie schön und zugleich wie natürlich er sein kann, zeigen Runges plattdeutsche märchen, in welchen bei warmer und ausführlicher darstellung kein unwahres wort gesagt ist. wer den rechten sinn hat, der enthält sich ohnehin der geblümten redensarten, und der faden ironie, die, wenn sie auch nichts hinzuthut, immer die echte farbe abwischt.

Jetzt werden uns von noch südlichern völkern die überlieferungen zugeführt. herr Dr. J. G. v. Hahn, östreichischer consul für das östliche Griechenland, hat die günstige gelegenheit benutzend nach ihren innern zuständen wenig bekannte länder mit eindringendem blick beobachtet und die frucht seiner bemühungen in einem umfangreichen werk, das eben unter dem titel: Albanesische studien erschienen ist, niedergelegt. für die grammatik der toskischen mundart und für die beiträge zu einem albanesischen wörterbuch wird ihm die sprachwissenschaft dank sagen; er belehrt uns aber auch über die sitten, gebräuche und den glauben jener völker, theilt sprichwörter und redensarten mit, zuletzt fünf toskische märchen, von denen ich hier nähere nachricht geben will. wiewohl sichtbar auf einheimischem boden gewachsen, stehen sie doch in unverkennbarer gemeinschaft mit den deutschen. naiv ist die formel, womit ein jedes anhebt, und bezeichnet glücklich wahrheit und dichtung des märchens, ‚es war und es war nicht‘, ebenso der schluß, ‚dort war ich, fand aber nichts.‘ die magyarischen (bei Stier) fangen ähnlich an, ‚wo wars? wo wars nicht?‘ oder ‚was war, was nicht war sag ich nicht.‘

Das erste erzählt von einer jungen frau die in die fremde verheirathet ist und sehnsucht nach ihrer heimath empfindet. eine alte kommt und ist bereit sie heimzuführen.

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Johann Wilhelm Wolf (Hrsg.): Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde, Band I. Dieterische Buchhandlung, Göttingen 1853, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_deutsche_Mythologie_und_Sittenkunde_-_Band_I_Seite_388.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)