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Es ist nun natürlich, dass durch die erobernden Rassen, welche aus Menschen von ungeheurer Grösse bestanden, die Kleinheit der besiegten Rassen noch übertrieben wurde.

Diese Zwerge, welche von den in das Land Einfallenden verachtet und allerwärts verjagt wurden, fanden eine sichere Zufluchtsstätte im Innern der geheimnisvollen Grotten, wohin ihre abergläubischen Feinde sie nicht zu verfolgen wagten.[1]

Die Besiegten gingen, um die Plackereien des unterdrückenden Volkes zu vermeiden, nur des Abends aus. Sie bildeten eine phantastische Welt für sich, einen Gegenstand von mit Furcht und Schrecken gemischter Achtung für die einfallenden Völker.

Die Höhlenbewohner, welche an der Herstellung von Waffen aus Feuerstein oder Renntierknochen gewöhnt waren, entdeckten oder erlernten das Schmelzen von Mineralien sowie die Herstellung und Bearbeitung von Bronze und Eisen. Die künstlerische Geschicklichkeit wurde von ihnen geübt, und so wurden die Schmiede Wächter der Minen und Metalle.

Sie bildeten eine Rasse für sich und erinnerten durch gewisse Züge an die kesselschmiedenden Zigeuner unserer Tage. Man fürchtete sie wegen ihrer Art zu leben. Die Völker, in deren Mitte sie lebten, schritten in der Bildung vor, während die Zwerge auf dem alten Standpunkt blieben. Da sie den neuen Religionen Widerstand entgegensetzten, so galten die Höhlenbewohner nun für Anhänger des Teufels, für Heiden. So werden in dem französischen Teile der Ardennen und Vogesen die Grotten-Aushöhlungen, welche bei der Anlage von Eisenminen gemacht sind, Löcher der Irrgläubigen genannt, der Ungläubigen, der Heiden.

Bis zum 8. Jahrhundert legten die Männer des Nordens, unsere Vorfahren, Lebensmittel an die Öffnungen der einsamen Höhlen hin, um sich die Zwerge günstig gestimmt zu machen, welche in denselben wohnten. Die Kirche bekämpfte auf mehreren örtlichen Konzilen lange Zeit dieses Herkommen.

Die Zwergrassen vergingen allmählig, aber das Andenken an dieselben blieb. Von ihnen rührt der Glaube an die Geister von kleiner Gestalt her, die Wächter der Minen und Höhlen.


Anmerkung. Da es dem Unterzeichneten erwünscht erscheint, dass die Arbeiten, welche der Volkskunde gewidmet sind, auch in bezug auf die darin geübte Art und Weise der Forschung nicht auf die Kenntnisnahme nur des Vaterlandes des betreffenden Forschers beschränkt bleiben, so ist derselbe mit folgenden Herren in Austausch von Originalarbeiten getreten: Carnoy-Paris, Gittée-Charleroi, Sabatini-Rom, Sébillot-Paris, und zwar in der Weise, dass die Zeitschrift für Volkskunde zuweilen Originalarbeiten der genannten Herren veröffentlichen wird, wie die Journale und Zeitschriften der Herren in Gent, Paris, Rom ihren Lesern Arbeiten des Unterzeichneten bringen werden. Gemäss dieser Abmachungen beginnt Herr H. Carnoy in dieser Nummer den Austausch der berührten Art, mit dem vorstehenden Aufsatz, welchen wir auch von diesem Gesichtspunkte aus in unserer Zeitschrift willkommen heissen.

Edm. Veckenstedt.     

  1. Siehe Martin Hembiz, Eine Kolonie unter dem Nordstern.
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_412.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)