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8. Der Teufelsstein bei Zerbst.

Unweit des Bahnhofes von Zerbst liegt ein Stein, welcher etwa zwei Fuss hoch über den grasbewachsenen Boden emporragt. Der Stein ist ein Irrblock, feinkörniger Granit, welcher dadurch besonders bemerkenswert ist, dass sich auf der geneigten Oberfläche desselben zwei eiförmige Marken eingeschürft finden, welche durch eine Art von Rinne miteinander verbunden sind.

Wie der Stein an diese Stelle gekommen ist und woher die eiförmigen Marken mit der sie verbindenden Rinne rühren, erzählt man sich folgendermassen. Einst hatte der Teufel mit den Zerbstern den Vertrag abgeschlossen, dass die Stadt Zerbst mit allen ihren Bewohnern ihm gehören solle, wenn er den Block, welcher früher ganz wo anders lag, in einer Nacht um die Stadt schleppen werde. Wenn ihm dies aber nicht gelingen solle, so müsste er fortan die Zerbster zufrieden lassen.

Zur rechten Zeit machte sich der Teufel an die Arbeit. Er schlang eine lange Kette um den Stein und zog wacker darauf los, so dass er schon eine grosse Strecke um die Stadt herum zurückgelegt hatte. Er wäre auch wohl zum Ziele gekommen, wenn nicht einer von den Bewohnern aus Zerbst den Teufel und sein Treiben beobachtet hätte. Als dieser Mann nun sah, dass der Teufel seinen Zug rund um die Stadt fast vollendet hatte, krähte er laut wie ein Hahn.

Da glaubte der Teufel, der Morgen sei angebrochen und floh fluchend von dannen, indem er den Stein an der Stelle liegen liess, bis wohin er denselben geschleppt hatte.

So war fortan Zerbst sicher vor dem Teufel. Von der Kette, welche der Teufel um den Stein geschlungen hatte, sind die Eindrücke geblieben; das sind die eiförmigen Marken und die Rinne, welche dieselben[1] verbindet.

Brandt.     


Nachwort
zu den Sagen aus der Provinz Sachsen.

Die fünfzig Sagen aus der Provinz Sachsen, welche die Hefte 1–10 bieten, sind alle mit Ausnahme von No. 4 und 5 in Heft 4 und 5 von mir selbst in meinem Heimatsdorfe Vehlitz bei Magdeburg gesammelt worden, ebenso wie die 170 Nummern des Aberglaubens. (Schluss Heft 11.) Von den Sagen wurde mir die grösste Anzahl daselbst im Jahre 1876 mitgeteilt, wogegen ich den Aberglauben eben dort vor etwa dreissig Jahren zu sammeln begonnen, besonders aber in den Jahren 1875–76 zusammengetragen habe. Den Aberglauben verdanke ich Frau Adler sen. und ihrer Schwiegertochter sowie Frau Ulrich und den Herren Brandt, Eberth, Schirmer, Richter.

Von den Sagen war früher nur diejenige bekannt von dem Riesenstein (Heft 1, S. 22), und zwar durch eine Veröffentlichung von Kuhn und Schwartz in den „Norddeutschen Sagen“ u. s. w., wo dieselbe in unwahrscheinlicher Fassung und nicht richtiger Ortsbestimmung geboten ist, sowie der Name der Drachenbäume, welche noch vor kurzem der Wissenschaft


  1. Vorlage: dielben
Empfohlene Zitierweise:
Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_386.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)