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der starke Peter heiratete die Königstochter und bekam, da der Vater seiner jungen Gemahlin bereits alt war, die Herrschaft über das Land. Allein die benachbarten Völker und Herrscher mochten von dem neuen König nichts wissen. Bald zogen sie mit Heeresmacht gegen den neuen König, allein der starke Peter ging aus allen Kämpfen als Sieger hervor.

Unter denen, welche den neuen König bekriegten, war auch ein Volk von Weibern, deren Hände Schwerter waren. Als auch diese in einem Kampfe besiegt waren, riefen sie zu ihrer Hilfe Untiere herbei, welche halb Menschen, halb wilde Hunde waren. Der starke Peter fühlte sich zu schwach, den Kampf gegen dieselben aufzunehmen. Er rief den Teufel aus der Hölle herbei, dass er ihm helfe. Der Teufel kam und war bereit, die gewünschte Hilfe zu gewähren, aber nur unter der Bedingung, dass ihm dafür Peter seine Gemahlin überlasse. In seiner Not musste Peter alles versprechen. Kaum waren die Untiere besiegt, so forderte der Teufel seinen Lohn. Peter musste seine Gemahlin dem Teufel übergeben. Aber nach kurzer Zeit erfasste ihn eine solche Sehnsucht nach seiner geliebten Frau, dass er beschloss, dem Teufel die Beute zu entreissen. Er stieg in die Hölle hinab, unterlag aber hier im Kampfe mit dem Teufel und ward von diesem an den Felsen geschmiedet, von welchem ihn sein Bruder Hans später befreite.

Fortan lebten der starke Peter und der starke Hans glücklich mit ihren Gemahlinnen, und da sie einander stets halfen, so oft ein feindliches Heer nahte, so vermochte ihnen kein Feind etwas anzuhaben. So kam es, dass sie bald die glücklichsten und mächtigsten Könige der Welt waren.


2. Der Rabe.

Vor langen, langen Jahren lebte einmal eine arme Witwe, welche zwei Kinder hatte, einen Knaben und ein Mädchen. Die Kinder waren im übrigen gut geraten, hatten einander und die Mutter sehr lieb, nur besass der Knabe den Fehler, dass er gern die Sahne von der Milch naschte. Die Frau hatte nur eine Kuh; wenn dieselbe gemolken und sie die Milch aufgestellt hatte, ging ihr Sohn stets darüber her, so oft die Mutter es auch verboten hatte, und ass die Sahne ab. Dadurch wurde es der Witwe unmöglich, Butter zu gewinnen. Endlich geriet die Witwe in einen solchen Zorn, dass sie ihren Sohn in einen Raben verwünschte. Zu der Zeit hatten nämlich die Eltern noch die Macht, ihre Kinder in jedes beliebige Tier verwünschen zu können.

Jeden Tag kam nun der Rabe in den Hof seiner Mutter, um dort einen oder den andern Bissen zu erhaschen. Die Tochter der Witwe war sehr betrübt, dass sie ihren Bruder nicht mehr hatte, und als der Rabe einst wieder in den Hof gekommen war, befragte sie denselben, ob sie ihn erlösen könne. Der Rabe sagte, das könne sie wohl thun, aber sie müsse dann sieben Jahr hindurch mit den Tieren des Waldes leben und dürfe in diesen sieben Jahren kein Wort sprechen, es geschehe, was da wolle.

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_235.png&oldid=- (Version vom 22.7.2023)