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kommenden Ähnlichkeit der Lautbildung und in Betracht des Umstandes, dass die eigentümlichen Wurzelworte beiderseits keineswegs von grosser Mannigfaltigkeit sind, wohl manche scheinbare Resultate zu Tage bringen konnte, ist begreiflich; sichergestellt sind dieselben trotz allen darauf verwandten Scharfsinns keineswegs und man kann sie höchstens zu einem so geringen, auf die Nachbarschaft Yesos beschränkten Bruchteile anerkennen, dass sie alle Beweiskraft verlieren. Und dies ist um so entschiedener festzuhalten, als Chamberlain die dritte Sprache, welche hier noch in Betracht kommen kann, die koreanische, überhaupt nicht berücksichtigt hat, und als manche Namen, die er aus der Ainosprache erklären will, besonders solche, welche in den westlicheren Gegenden Japans vorkommen, sich gerade aus dem Koreanischen, das ja dahin leicht wirken konnte, sehr wohl erklären lassen.

Unter diesen Verhältnissen erscheint es doppelt wichtig, die Religion und die volkstümlichen Überlieferungen dieses eigentümlichen Volkes der Aino kennen zu lernen. Ist es von den Japanern wirklich grundverschieden, so hat man mit grosser Wahrscheinlichkeit eine wesentliche Abweichung von den religiösen Vorstellungen, den Sagen u. s. w. der Japaner zu erwarten, und umgekehrt, ist eine gründliche Verschiedenheit in diesen Punkten vorhanden, so erhält dadurch alles, was hinsichtlich einer tieferen Kluft zwischen den beiden Volksstämmen des japanischen Inselreichs gesagt wurde, eine starke Stütze.

Dies ist nun, wie aus vielen, aber sämtlich in die neueste Zeit fallenden Untersuchungen — namentlich von Scheube, Batchelor, Chamberlain, Miss Bird —, welche ich selbst in manchen Punkten zu kontrollieren und zu ergänzen Gelegenheit fand, in der That der Fall. Es steht nicht nur die Religion der Aino durchaus unabhängig von der der Japaner da, sondern auch die Sagen und Märchen sind, wenn nicht ein nachweisbarer neuerer Import stattgefunden, sämtlich sowohl dem Gegenstand als der ganzen Art der Auffassung nach durchaus verschieden.

Allerdings würde man irren, wenn man — der Idee gemäss, als wären die Aino wirklich eine Art von Urwilden — eine völlige Selbständigkeit ihrer Religion und ihrer Folklore annehmen wollte. Höchst wahrscheinlich haben mancherlei Zufuhren von Sagen- und Märchenstoffen, wie wohl bei allen Völkern, so auch bei den Aino, stattgefunden; hin und wieder mag sogar der Kultus von aussenher beeinflusst sein. Ohne Frage aber geschah dies in der Vorzeit durchaus von anderer Seite als von Japan her, und dabei war auch die Art der Bearbeitung jener Stoffe eine völlig abweichende; ja man darf sagen, dass dies hinsichtlich der Grundlage aller ihrer religiösen Vorstellungen der Fall ist.

Es ist eine vielleicht überraschende, jedenfalls eine höchst beachtenswerte Thatsache zu nennen, dass die Aino ihren jetzigen Herren, den Japanern, gegenüber sich auf einem höheren Standpunkte in bezug auf die Religion befinden. Was die Japaner anlangt, so würde es hier zu weit führen, wenn ich weitläufig auseinander setzen wollte, dass die ihnen eigentümliche altheidnische Religion, der „Weg der Götter“, Kami no mitschi oder noch häufiger mit sinicojapanischem Worte Schintoo genannt, von Haus aus ein Kultus der persönlichen Vorfahren eines jeden Individuums

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_220.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)