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Bestreben eines Eingehens auf das Wesen der Aino bekundeten, ja dass eine bessere Bekanntschaft selbst jetzt noch von den Japanern kaum anders als auf Anregung von Europäern zu erfolgen pflegt, so wird man unbedingt zugeben müssen, dass dies Volk, das keineswegs unintelligent genannt werden darf, vereinsamt in seinem Urwalde — so muss man selbst heutzutage noch den grössten Teil der Insel Yeso nennen — in eine überaus ungünstige Lage versetzt werden konnte. Die Kultur, statt fortzuschreiten, ging daher in mancher Beziehung zurück, und die Aino waren in ihrem verkommenen Zustande durchaus unfähig, den an sich nicht gerade besser veranlagten, aber kriegerischen und in strammer Staatsgemeinschaft auftretenden Japanern gegenüber in irgend einer Weise ihre Selbständigkeit zu behaupten.

Dass dies vor alters wesentlich anders gewesen, dass die Aino in der Vorzeit einen grossen Teil der Hauptinsel Japans, wo nicht ganz Japan besessen, und dass sie dann durch Kämpfe, welche man unter unkritischer Benutzung und Auslegung japanischer Sagen in das erste Jahrtausend unserer Ära hat verlegen wollen, nach Norden zurückgedrängt seien, das ist gar oft behauptet, aber nie erwiesen. In Betracht der vielen Gegengründe, welche unter anderem aus den prähistorischen Funden in Japan, aus der Beschaffenheit der beiden Nationen und dem totalen Mangel irgend welcher Mischtypen im Norden Japans zu schöpfen sind, und auf welche ich selbst — z. B. in „Unsere Zeit“, 1883, Heft 8, S. 297 ff. — mehrfach hingewiesen habe, würde es kaum nötig sein, auf diesen Gegenstand zurückzukommen, wenn nicht neuerdings wieder ein namhafter Schriftsteller über die Aino, B. Chamberlain, in einem Memoire der Universität Tokio (Japan) die alte Legende aufgefrischt hätte. Die neuen Gründe, die er vorbringt, beschränken sich indessen auf Zusammenstellung japanischer Namen für Örtlichkeiten — Flüsse, Berge u. s. w. — welche er aus der Ainosprache erklärt, und da ihm trotz seiner gründlichen Kenntnisse der japanischen Sprache und derjenigen der Aino sehr viele entschieden falsche Deutungen dabei unterlaufen, so ist unbedingt auch diese Art der Beweisführung als verfehlt zu bezeichnen. An manchen Orten z. B. deutet er das japanische Wort yoko, dem wir u. a. in dem Worte Yokohama begegnen und das die Bedeutung „quer“ hat, ganz unnützerweise bei mehreren Ortschaften um und will es als eine Korruption des Ainowortes yuk, der Hirsch, auffassen. Statt des japanischen Wortes nitta, Norden, will er das Ainowort nitai, Wald, statt japanisch ina oder ine, Reis (Reisfeld), inao, die ainoische Bezeichnung für ein Weihgeschenk an die Götter, für yama (japanisch Berg) yam (bei den Ainos Kastanie) vorziehen; bei den Endigungen mori (japanisch Hain, Dickicht) und mura (japanisch Dorf), welche bei vielen japanischen Ortsbezeichnungen sich wiederholen, forscht er nach Ainoworten, welche doch eine bei weitem minder nahe liegende Bedeutung geben; manche echt japanische und in Japan sehr gebräuchliche Worte, wie yu, heisses Wasser, heisse Quelle, iwa, Fels, reklamiert er für die Ainosprache; für hira, Ebene, setzt er bei der Erklärung stets das Ainowort pira, Klippe u. dgl. m. Dass sein Verfahren, das in mancher Beziehung an die übertriebenen Bestrebungen einiger unserer „Keltomanen“ erinnert, bei der den beiden Sprachen trotz ihrer wesentlichen Verschiedenheit zu

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_219.png&oldid=- (Version vom 20.11.2023)